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Verfassung und Verfassungsvertrag: Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU

von Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg

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Untersuchte Arbeit:
Seite(n): 403, Zeilen: 2-36
Original:
Seite(n): 1, Zeilen:

[Nachwort] Gemeinsam bilden Europa und die USA die weltweit bedeutendste Einflusssphäre von Demokratie, Sicherheit, Wohlstand und Frieden. Dennoch sind USA und Europa vornehmlich Mächte des Status quo, denen in erster Linie an der Bewahrung ihrer eigenen Werte gelegen ist. Obgleich beide ein sich in hoher Rasanz wandelndes Verständnis globaler Zusammenhänge federführend mitbestimmen, steht einer Verwirklichung gemeinsamer Hoffnungen ein – trotz aller gemeinsamen Wurzeln – durchaus unterschiedlicher Konservatismus entgegen, der sich aus den eigenverantwortlich materialistischen Grundprägungen beider Gesellschaften nährt. Das Spannungsfeld Konservativismus und Moderne auch im transatlantischen Verhältnis anzuführen ist schon deswegen nicht reizlos als auch die Kopplung beider Ausrichtungen zunehmend deutlich wird. Auch im weiten Feld des in der Praxis erprobten Verfassungsverständnisses. Todesstrafe, genmanipulierte Lebensmittel, aber auch die Notwendigkeit militärischer Interventionen lassen (bei allen benevolenten Hegemonialstrukturen) eine wachsende gegenseitige Einflussnahme und in vielen Teilbereichen Abhängigkeit erkennen. Ein Mischverhältnis aus Emanzipierung und Fügung. Freilich bleiben die latente Amerikanisierung und deren fundamentale Ablehnung als dynamische Gegenpole erhalten.

Kulturell lassen sich jedoch auch Tendenzen einer Entfremdung ausmachen. Je mehr sich Europa und die Vereinigten Staaten gesellschaftlich, politisch, letztlich in der Verfassungswirklichkeit gleichen, desto lauter werden die Stimmen der Ablehnung eines Assimilierungsprozesses. Die Europäer, insbesondere die Einzelstaaten, sträuben sich gegen eine Strömung, die sie als fremden Eingriff fremder Ideen in ihre traditionelle Identität betrachten. Illustrativ steht hierfür Frankreich, das durch gesellschaftspolitische Einzelmaßnahmen Druck ausübt, um die so verstandene kulturelle Einzigartigkeit des Landes zu bewahren. In Deutschland wird die neue Distanz auf einer anderen Ebene sichtbar. Das Selbstbewusstsein auf internationaler Ebene ohne die betonte Fessel der Vergangenheit als Streitschlichter Profil zu gewinnen – etwa im nahen Osten (ein Einfluss über den Frankreich beispielsweise nicht mehr verfügt) –, zeugt von einem ausgeprägten Willen zur Emanzipation.

Beide - die Vereinigten Staaten und Europa - eint die Idee eines neuen, gewaltlosen und positiv einzuschätzenden "Verfassungsimperialismus": die Grenzen des Friedens, der Stabilität und der Demokratie nach Osteuropa und die restliche Welt wenigstens in der Respektierung auszuweiten, ist eine Anforderung, die Europa [und die USA langfristig nur gemeinsam meistern können.]

Zusammen bilden Europa und die USA die größte Einflusssphäre von Sicherheit, Demokratie, Frieden und Wohlstand auf der Welt. Auf einem sich rasant wandelnden Planeten und obgleich sie diesen Wandel selbst aktiv vorantreiben, sind die USA und Europa in erster Linie Mächte des Status quo, denen hauptsächlich an der Bewahrung ihrer eigenen Werte gelegen ist. Das führt zu einem natürlichen Konservatismus, der bei diesen stark materialistisch geprägten Gesellschaften einer Verwirklichung gemeinsamer Hoffnungen im Wege steht. [..] Militärische Intervention ist nicht der einzige Bereich, in dem man eine Europäisierung der Vereinigten Staaten beobachten kann. Von der Todesstrafe bis hin zu genmanipulierten Lebensmitteln funktionieren Einflussnahme und Abhängigkeit zunehmend in beide Richtungen. Die Amerikanisierung der Welt und die Europäisierung der USA sind zwei Erscheinungsformen der Globalisierung. Weil sich aber unsere Kulturen, unsere historischen und sozialen Traditionen unterscheiden und weil wir uns durch unsere verschiedene Schwerpunktsetzung voneinander entfernen, führt uns die Tatsache, dass wir einander gründlicher und vielfältiger beeinflussen als je zuvor, keineswegs zusammen.

Je mehr sich Europa und die Vereinigten Staaten gleichen, desto mehr lehnen wir dies ab und desto mehr lehnen wir einander ab. Die Europäer sträuben sich gegen etwas, was sie als fremden Eingriff fremder Ideen in ihre traditionelle Identität betrachten. Je mehr sich zum Beispiel die Franzosen wie Amerikaner kleiden, amerikanisch essen und zu amerikanischer Musik tanzen, desto mehr verspüren sie das Bedürfnis, jene Dinge zu verteidigen, die in ihren Augen ihre kulturelle Einzigartigkeit ausmachen.

Die Entfremdung von der USA ist in Deutschland sogar noch deutlicher zu beobachten. Das neue Deutschland fühlt sich nicht mehr durch seine Vergangenheit gehindert, wenn es im Namen Europas als diplomatischer Vermittler im Nahen Osten auftritt. Deutschland profitiert vom Vertrauen, das es bei beiden Konfliktparteien genießt, ein Einfluss, über den Frankreich nicht mehr verfügt.

Amerika und Europa müssen anfangen, ihre Tradition der Allianz und des Dialogs zu überdenken, in einer neuen kulturellen Landschaft, die von einem Nebeneinander vielfältiger und gegensätzlicher Identitäten geprägt ist. Je mehr wir uns ähneln, desto mehr neigen wir dazu, unsere Unterschiede zu betonen. Die transatlantische Krise ist real und muss als solche erkannt werden, wenn der politische Wille gefasst werden soll, sich erfolgreich mit ihr auseinander zu setzen. Den Versuch ist es allemal wert: Die Grenzen der Demokratie, des Friedens und der Stabilität nach Osteuropa und in die ganze Welt zu erweitern, zu garantieren, dass Russland oder sogar China nicht einen gefährlicheren Weg einschlagen, das sind Aufgaben, die die USA und Europa langfristig nur gemeinsam verwirklichen können.

Kategorie
Verschleierung
Im Literaturverzeichnis referenziert
nein
Übernommen aus
Moisi 2001
Link
Moisi 2001
Anmerkung
Für sein Nachwort hat Guttenberg einfach den Weltartikel umgeschrieben. Im letzten Absatz etwas stärkere Überarbeitung erkennbar, aber unverwechselbar im Geist der Originalquelle.

Fragmentsichter: Schuju (Sichtungsergebnis: Gut)

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