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Dissertation

Verfechter eines erweiterten Verfassungsbegriffs um ein Vertragsdokument eigener
Art, welches — wie schon die bisherigen Verträge! — die Verfasstheit eines
supranationalen Gebildes mit von den Mitgliedstaaten abgeleiteter, auf den Bürger
direkt einwirkender (supranationaler) Hoheitsgewalt zum Gegenstand hat und
damit allenfalls in materieller Hinsicht eine „Verfassung" darstellen kann.'
Der nun vorliegende Verfassungs(bzw. Grundlagen-)vertrag als solcher stellt
in diesem Konstitutionalisierungsprozess der Europäischen Union lediglich eine
(von bereits vielen vollzogenen) Etappe(n) dar und bildet damit weder Beginn
noch Endpunkt dieser Entwicklung. Er unterscheidet sich deshalb auch funktionell
von herkömmlichen Staatsverfassungen wie etwa der amerikanischen Bundesverfassung,
die jeweils mit ihrer Schaffung durch ein verfassunggebendes Gremium
eine eigene, auf Vollständigkeit angelegte nationalstaatliche Verfassungsordnung
„per Federstrich" in Kraft setzten. Während eine Staatenverfassung daneben ein
staatliches Gemeinwesen auf der Grundlage des pouvoir constitutant, des Volkes,
schafft, begründet der Verfassungsvertrag ausdrücklich eine „zwischenstaatliche
Europäische Union der Bürger und der Staaten".
Dieser zentrale funktionelle Unterschied zwischen „EU-Verfassung" und Staatsverfassung
kann auch nicht dadurch überdeckt werden, dass es — ebenso wie
zwischen dem deutschen Grundgesetz (GG) und dem Verfassungsvertrag — zwischen
beiden Dokumenten vielfältige „materielle Schnittmengen" wie etwa einen
Grundrechtskatalog, bestimmte Staats-bzw. Unionsziele oder aber bestimmte institutionelle
Bestimmungen gibt. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang
immer die genannten funktionellen Unterschiede zwischen einem Staatswesen auf
der einen und der supranationalen, zwischenstaatlichen Organisation auf der anderen
Seite, denen insbesondere die entsprechenden institutionellen Bestimmungen
stets Rechnung zu tragen haben. So ergibt sich etwa aus dem supranationalen,
zwischenstaatlichen Charakter der Europäischen Union das besondere, durch
das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts geprägte europäische Institutionengefüge,
bestehend aus Europäischer Kommission, Rat, Europäischem Rat und
Europäischem Parlament, welches auf nationaler Ebene weltweit keinerlei Pendant
findet.
Schon aus diesen Besonderheiten des vom Europäischen Konvent vorgelegten
Dokuments wird die strukturelle Andersartigkeit auch dieses Gremiums im Vergleich
zu verfassungsgebenden Versammlungen, wie sie etwa der Konvent um
Philadelphia darstellte, deutlich. Auch wenn mit dem künftigen Vertrag über eine
Verfassung für Europa der Prozess der Konstitutionalisierung der Europäischen
Verträge vorangetrieben wird, ist dieser Prozess nicht mit der Verfassunggebung
für einen Nationalstaat gleichzusetzen und mit der Arbeit des Konvents auch nicht
abgeschlossen.

Original

der Verfechter eines erweiterten Verfassungsbegriffs
um ein Vertragsdokument eigener Art, welches – wie schon die bisherigen Verträge! -
die Verfasstheit eines supranationalen Gebildes mit von den Mitgliedstaaten abgeleiteter,
auf den Bürger direkt einwirkender (supranationaler) Hoheitsgewalt zum Gegenstand
hat und damit allenfalls in materieller Hinsicht eine „Verfassung“ darstellen kann
(Anlage 7, S. 97-99, vgl. zur damit zusammenhängenden Funktionswandlung des Staates
Anlage 1, S. 1 f.).
Die nun vorliegende „EU-Verfassung“ als solche stellt in diesem Konstitutionalisierungsprozess
der EU lediglich eine Etappe dar (Anlage 1, S. 15 f.) und bildet damit weder
Beginn noch Endpunkt dieser Entwicklung. Sie unterscheidet sich deshalb auch
funktionell von herkömmlichen Staatsverfassungen wie etwa der amerikanischen Bundesverfassung,
die jeweils mit ihrer Schaffung durch ein verfassunggebendes Gremium
eine eigene, auf Vollständigkeit angelegte nationalstaatliche Verfassungsordnung „per
Federstrich“ in Kraft setzten. Während eine Staatenverfassung daneben ein staatliches
Gemeinwesen auf der Grundlage des pouvoir constituant, des Volkes, schafft, begründet
die künftige EU-Verfassung gemäß Art. 1 Abs. 1 Verfassungsentwurf ausdrücklich
eine zwischenstaatliche Europäische Union der Bürger und der Staaten.
Dieser zentrale funktionelle Unterschied zwischen „EU-Verfassung“ und Staatsverfassung
kann auch nicht dadurch überdeckt werden, dass es – ebenso wie zwischen dem
deutschen Grundgesetz und der EU-Verfassung – zwischen beiden Dokumenten vielfältige
materielle Schnittmengen wie etwa einen Grundrechtskatalog, bestimmte
Staats- bzw. Unionsziele oder aber bestimmte institutionelle Bestimmungen gibt. Zu
berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang immer die genannten funktionellen
Unterschiede zwischen einem Staatswesen auf der einen und einer supranationalen,
zwischenstatlichen Organisation auf der anderen Seite, denen insbesondere die entsprechenden
institutionellen Bestimmungen immer Rechnung zu tragen haben. So ergibt
sich etwa aus dem supranationalen, zwischenstaatlichen Charakter der Europäischen
Union das besondere, durch das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts geprägte
europäische Institutionengefüge, bestehend aus Europäischer Kommission, Rat, Europäischem
Rat und Europäischem Parlament, welches auf nationaler Ebene weltweit keinerlei
Pendant findet.
Schon aus diesen Besonderheiten des vom Europäischen Konvent vorgelegten Dokuments
wird die strukturelle Andersartigkeit auch dieses Gremiums im Vergleich zu verfassungsgebenden
Versammlungen, wie sie etwa der Konvent von Philadelphia darstellten,
deutlich. Auch wenn mit dem künftigen Vertrag über eine Verfassung für Europa
der Prozess der Konstitutionalisierung der Europäischen Verträge vorangetrieben
wird, ist dieser Prozess nicht mit der Verfassungsgebung für einen Nationalstaat gleichzusetzen
und mit der Arbeit des Konvents auch nicht abgeschlossen.


Görlitz, Europäischer Konvent und der Konvent von Philadelphia – Parallelen und Unterschiede, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Berlin 2003, WF XII - 148/03, S. 3f